Ärzteschaft

Streit um ausgesetzte Operationen: KBV rechnet Vergütung vor, Kassen wettern gegen Ärzte

  • Dienstag, 17. Januar 2023

Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) weist Vorwürfe von Verbänden des Fachgebiets der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde bezüglich einer zu starken Absenkung des Honorars für ambulante Operationen bei Kindern zurück, zeigt jedoch Verständnis für deren Anliegen. Ganz anders die Krankenkassen: Sie werfen ihnen eine „empörende Kampagne“ vor, die Geld gegen Gesundheit ausspiele.

Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) und die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO) hatten gestern ihre Mitglieder aufgerufen, ab sofort bundes­weit keine neuen Termine für Mandeloperationen bei Kindern zu vergeben.

Mit dem Schritt wollen die Verbände nach eigenen Angaben auf die katastrophale Lage durch die jahrelange Unterfinanzierung des ambulanten Operierens auf­merk­sam machen und die Verantwortlichen zum Handeln bewegen. Konkret gehe es dabei vor allem um die um die Eingriffe Adenotomie und Tonsillotomie. Der Deutsche Berufs­verband der Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie (DBVPP) unter­stütze das Vorgehen.

Die KBV, die die neuen Erstattungsbeträge mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt hat, zeigt nun Ver­ständnis für den Frust der HNO-Ärztinnen und -Ärzte – weist die konkreten Kritikpunkte aber als zu verkürzt zurück.

Die Betrachtung einzelner Gebührenordnungspositionen (GOP) anstelle gesamter Eingriffe führe nicht zu einer sachgerechten Bewertung der erfolgten Anpassungen, erklärte die KBV in einem Schreiben an die Vorstandsvorsitzenden des BVHNO, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Denn unterm Strich kämen die HNO-Ärzte bei der Neubewertung der ambulanten Operationen im Einheitli­chen Bewertungsmaßstab (EBM), die der Bewertungsausschuss am 14. Dezember mit Wirkung zum Jahres­anfang beschlossen hatte, gar nicht so schlecht weg.

Unterm Strich ein Plus

In der Gesamtbetrachtung aller Kategorien des ambulanten Operierens würden sie Simulationsberechnungen der KBV zufolge in Bezug auf das aktuelle Abrechnungsvolumen im ambulanten Operieren ein moderates Plus von 2,3 Prozent ohne Berücksichtigung von Förderzuschlägen erhalten.

Außerdem seien auch die Anpassungen und Ergänzungen ebenjener Förderzuschläge in die Analyse der Aus­wirkungen einzubeziehen, die mit dem Beschluss des Bewertungsausschusses zur Weiterentwicklung des ambulanten Operierens durchgeführt wurden.

So gebe es nun höhere Zuschläge bei Simultaneingriffen. Als Beispiel führt die KBV den mit Abstand am häufigsten kodierten Eingriff im Fachgebiet HNO an: den OPS-Kode 5-215.3 „Operationen an der unteren Nasenmuschel [Concha nasalis]: Submuköse Resektion“.

Zwar treffe zu, dass die GOPen 31231 und 31232, über die die Abrechnung dieser Eingriffe erfolgt, um 5,8 beziehungsweise 5,0 Prozent abgewertet wurden. Allerding würden die Eingriffe zu rund 30 Prozent als Simultaneingriffe erfolgen – und dabei dann Zuschläge nach der GOP 31238 berechnet, die wiederum um 28,3 Prozent aufgewertet worden sei.

Im Ergebnis würde die Aufwertung der Zuschläge den Rückgang der Bewertung den beiden GOPen nicht nur kompensieren, sondern die Eingriffe mit einem Plus von 1,3 Prozent sogar leicht aufwerten.

Ähnlich sehe es bei dem für das Fachgebiet ebenfalls hoch relevanten OPS-Kode 5-214.6 aus, hinter dem sich die „Submuköse Resektion und plastische Rekonstruktion des Nasenseptums: Plastische Korrektur mit Resek­tion“ verbirgt. Auch hier gelte: Zwar sei die Abrechnung über die GOP 31233 um 35 Punkte und damit um 1,5 Prozent abgesenkt worden.

Allerdings, so wendet die KBV ein, sei nun zusätzlich ein Förderzuschlag in Höhe von 360 Punkten neu berech­nungsfähig. Dadurch würden die Eingriffe insgesamt 14 Prozent höher vergütet.

Die gleiche Logik greife bei einer plastischen Rekonstruktion des Nasenseptums gemäß OPS-Kode 5-214.70: Ohne Zuschlag werde der Eingriff entsprechend GOP 31233 mit 262,35 Euro vergütet (2283 Punkte), mit Zuschlag III gemäß GOP 31453 wächst der Betrag auf 303,72 Euro (2643 Punkte).

Vergütung für Nachbeobachtung

Mit Blick auf die von den Verbänden besonders kritisierten Vergütungskürzungen bei Adenotomien und Ton­sillotomien greife außerdem ein weiterer wichtiger Aspekt, nämlich der erhöhte postoperative Aufwand. Ergänzend zu den bereits bestehenden postoperativen Überwachungskomplexen werde nun die Möglichkeit einer Nachbeobachtung etabliert.

So sei für Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr über die neue Gebührenordnungsposition 31530 als 30-minütiger Zuschlag das doppelte der jeweiligen postoperativen Überwachungszeit möglich und be­rechnungsfähig. Bei Erwachsenen hingegen müssten weitere Kriterien wie das Vorliegen bestimmter Erkran­kungen oder der Umfang des Eingriffs erfüllt sein, um eine verlängerte Beobachtungszeit zu begründen.

Werde beispielsweise bei einem elfjährigen Kind eine partielle Tonsillektomie durchgeführt und eine post­operativ verlängerte Nachbeobachtung von insgesamt dreieinhalb Stunden in den Räumen der ambulant operierenden Einrichtung notwendig, falle dafür eine zusätzliche Vergütung von 106,30 Euro an.

Die dreieinhalb Stunden setzen sich dabei aus der GOP 31504 für den ambulanten Überwachungskomplex und der GOP 31530 für die verlängerte postoperative Nachbeobachtung zusammen. Erstere wird mit 79,75 Euro (694 Punkte) für die ersten 120 Minuten vergütet, die zweite mit 26,55 Euro (231 Punkte) für die restli­chen 90 Minuten. Die wiederum komme durch die Multiplikation der GOP 31530 zustande, die eine Vergütung von je 30 Minuten umfasst. Insgesamt sei eine Nachbeobachtung von bis zu 120 Minuten möglich.

Der GKV-Spitzenverband macht verkürzt eine ähnliche Gegenrechnung auf und erhebt schwere Vorwürfe ge­gen die HNO-Verbände: So werde für die Adenotomie nun etwas weniger Aufwand veranschlagt, was aber konkret nur eine Verringerung der Vergütung von 111 Euro auf 107 Euro bedeute. Bei der submukösen Resek­tion und plastischen Rekonstruktion des Nasenseptums erhöhe sich die Vergütung gar von 261 auf 304 Euro.

„Es ist empörend, wie schamlos einige Ärzteverbände versuchen, immer mehr Geld aus den Taschen der Bei­tragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung herauszuholen und nicht einmal vor Drohungen gegen die Gesundheit von Kindern haltmachen“, schimpft der GKV-Spitzenverband auf die Verbände. „Wer wegen vier Euro mehr oder weniger Honorar für eine Operation offen dazu auffordert, kranke Kinder nicht zu behandeln, stellt offenkundig Geld über Gesundheit.“

Während die Politik gefordert sei, „diesem maßlosen und unethischen Handeln dieser Verbände Einhalt zu ge­bieten“, sei es die gesetzliche Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen, die ambulante ärztliche Versor­gung sicherzustellen. „Dazu gehört es auch, gegen Verletzungen des Sicherstellungsauftrages einzuschreiten“, betonte der GKV-Spitzenverband.

Die KBV hingegen zeigt den HNO-Verbänden gegenüber Verständnis für deren Kritik und betont, dass sie in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband bereits Verbesserungen herausgeholt hat – das jedoch sei erst der Anfang.

„Auch wenn wir die pauschale und harsche Kritik des Berufsverbandes der HNO-Ärzte für überzogen halten, muss festgestellt werden, dass die Förderung des ambulanten Operierens zügig weiter deutlich verbessert werden muss“, erklärte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen heute. „Das sage ich vor allem in Richtung GKV-Spitzenverband als Vertreter der Krankenkassen.“

Bei den Vereinbarungen, die Ende vergangenen Jahres getroffen wurden, habe es sich „um einen ersten und behutsamen Schritt in die richtige Richtung“ gehandelt. So sei die Möglichkeit einer verlängerten Beobach­tungszeit nach operativen Eingriffen gegenüber der KBV wiederholt als ein wesentliches Kriterium zur Am­bulantisierung gefordert worden. Die jetzige Umsetzung sei dabei als erster Schritt zu sehen, während an der weiteren Ausgestaltung zeitnah gearbeitet werde.

Gleichzeitig habe die KBV bei der Festsetzung der neuen Bewertung der ambulanten Operationen berück­sichtigt, dass die bisherigen Relationen der Bewertungen der ambulanten Operationen im EBM seit langem kritisiert werden. Denn es gebe eine relative Überbewertung von Eingriffen der kleineren Kategorien im Ver­gleich zu den komplexeren Eingriffen der höheren Kategorien. „Diese Kritik haben wir mit dem nun gefassten Beschluss aufgegriffen“, betonte die KBV-Spitze heute in ihrem von allen drei Vorständen unterzeichneten Brief an den BVHNO.

Darüber hinaus sei der gefasste Beschluss zur Weiterentwicklung des EBM vor dem Hintergrund gefasst worden, dass eine Beschleunigung der Ambulantisierung als notwendig erachtet wird. Ein Grund für deren bisheriges Ausbleiben sei nämlich die relative Überbewertung der Operationen kleinerer Kategorien. Mit der aktuellen Beschlussfassung werde diese relative Überbewertung kleinerer Eingriffe nun abgebaut.

„Wir möchten betonen, dass wir bei diesem Schritt einer ersten Weiterentwicklung des ambulanten Operie­rens bezüglich der Bewertungsanpassung behutsam vorgegangen sind“, so die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Thomas Kriedel in ihrem Schreiben an den BVHNO. „Dies zeigt sich auch in der Ana­lyse des gesamten Abrechnungsspektrums im ambulanten Operieren der einzelnen Fachgebiete.“

Weitere Verhandlungen notwendig

Insgesamt gebe es unter Betrachtung des gesamten Abrechnungsspektrums der HNO-Ärzte also ein modera­tes Plus. Dennoch räumt Gassen ein, dass das insbesondere unter Berücksichtigung neuer Zuschläge für die Fachgruppe, die insbesondere für die Behandlung von Kindern relevant sind, „perspektivisch zu wenig“ sei.

So sei die Kostenentwicklung – insbesondere durch Inflation und stark steigende Energiekosten – in den bis­herigen Beschlussfassungen des Bewertungsausschusses nicht aufgegriffen worden. Kritik sei deshalb be­rechtigt „und die Thematik ist uns natürlich auch bewusst“, beteuert die KBV-Führung.

Allerdings würden die Verhandlungen zu diesen Punkten im Bewertungsausschuss getrennt von der Weiter­entwicklung des ambulanten Operierens beraten und sollten auch nicht miteinander verwoben oder gar verrechnet werden.

Im 1. Quartal 2023 werde die KBV unter Berücksichtigung der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen die Energiekostenentwicklung im Sinne einer differenzierten arztpraxisbezogenen Unterstützung kurzfristig weiterführen.

Im Speziellen werde die KBV aber auch zum ambulanten Operieren die in dem Beschluss des Bewertungsaus­schusses (Teil A) genannten Themen verhandeln. Die beinhalten einen Aufwandsersatz für die gestiegenen Hy­gienekosten, vorzugsweise bis zum 1. Juli 2023, sowie die Anpassung der Kalkulationsannahmen im ambu­lanten Operieren, um komplexere Eingriffe in die ambulante Versorgung zu transferieren.

„Um es deutlich zu sagen: Wir sind erst am Anfang“, versichert Gassen. „Wir wollen nun zügig weitermachen und mit den Krankenkassen verhandeln, übrigens auch zum hohen Hygieneaufwand. Natürlich muss die finan­zielle Ausstattung der ambulanten Versorgung insgesamt verbessert werden.“

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung