Übergriffe auf Rettungskräfte: Gröhe fordert „gesellschaftliche Ächtung“

Berlin – Null Toleranz für Übergriffe auf Rettungskräfte, Ärzte und Helfer hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gestern auf dem Neujahrsempfang der deutschen Ärzteschaft in Berlin gefordert. In Bezug auf das umstrittene Selbstverwaltungsstärkungsgesetz kündigte er an, das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wolle auch künftig keine Fachaufsicht über die gemeinsame Selbstverwaltung übernehmen.
Der Minister zeigte sich empört, dass Gewalt gegen helfende Hände zunimmt. Gröhe verwies auf einen Vorfall in Nordrhein-Westfalen, bei dem in den vergangenen Wochen ein Sanitäter im Rettungswagen tätlich angegriffen worden war. „Wir sehen in den letzten Jahren eine steigende Tendenz solcher Gewalttaten“, sagte er. Die Täter hätten „nicht nur die ganze Härte des Rechtsstaates, sondern auch eine klare, gesellschaftliche Ächtung verdient“.
Der Minister erinnerte zudem an den Terroranschlag vom Breitscheidtplatz, dem gestern auch der Bundestag gedachte. Zwölf Menschen verloren dabei ihr Leben, fast 50 wurden schwer verletzt. Die meisten konnten die Berliner Krankenhäuser, in denen sie behandelt wurden, mittlerweile verlassen. Gröhe betonte, er sei dankbar, dass Ärzte, Pfleger und Rettungskräfte allesamt mehr getan hätten als ihre Pflicht. Viele seien sogar zu Hilfe gekommen, ohne überhaupt gerufen worden zu sein. Gröhe erklärte, es sei gut, dass sich die Menschen bei solch schrecklichen Ereignissen, aber auch ansonsten im Krankheitsfall, rund um die Uhr – auch an Feiertagen – auf Zuwendung und Hilfe verlassen könnten.
Gröhe bedankte sich bei Ärzten und Helfern auch dafür, dass die große Herausforderung der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen im vergangenen Jahr bewältigt wurde. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, hatte zuvor davon gesprochen, dass die Selbstverwaltung die Versorgung der rund eine Million Flüchtlinge „funktional und schnell“ erledigt und souverän gemeistert habe.
In Bezug auf das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz machte Gröhe vor Ärzten, Akteuren der gemeinsamen Selbstverwaltung sowie Bundes- und Landespolitikern deutlich, grundsätzlich an der geplanten Reform festzuhalten. Er denke, es sei klug, die Selbstverwaltung zu stärken, indem man Transparenz und Kontrolle in den eigenen Reihen stärke, sagte er. Dabei solle die Grenze zur Fachaufsicht nicht überschritten werden. „Es bleibt bei der Rechtsaufsicht“, betonte der Minister. Gegen die Kritik aus der Ärzteschaft, der Gesetzgeber habe das Gesetz gar nicht initiieren müssen, entgegnete er: Es sei nun wirklich nicht die Idee des Gesetzgebers gewesen, dass Handlungsbedarf bestehe.
Hintergrund des Gesetzesvorstoßes mit zahlreichen geplanten Neuregelungen wie zum Beispiel strengeren Vorschriften zur Kontrolle des Haushalts und der Vorstandsgehälter oder drei vorgeschriebenen Vorständen an der Spitze der Körperschaften, sind Ereignisse aus der Vergangenheit der KBV, die inzwischen nach Aussage von KBV-Chef Andreas Gassen „aufgearbeitet sind“.
Dabei ging es unter anderem um undurchsichtige Immobiliengeschäfte der KBV im Zusammenhang mit deren Umzug von Köln nach Berlin im Jahr 2004 sowie die üppigen Ruhestandsbezüge des ehemaligen KBV-Vorstands Andreas Köhler und einer ehemaligen Justiziarin der KBV. Gassen erklärte gestern Abend, es sei gelungen, die Fragen um die KBV-Immobilien rechtssicher zu lösen. Die KBV gehe unbelastet ins Jahr 2017. Ein Selbstverwaltungsstärkungsgesetz brauche es „wirklich nicht“.
Vor allem die obligatorische Vorgabe, dass drei Vorstände an der Spitze der KBV stehen müssen, hält er für unnötig. Das rede einen Haus-Facharzt-Konflikt herbei, der gar nicht existiere, erklärte er. „Ob man es nun braucht, oder nicht braucht, das sieht jeder anders“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Frank Ulrich Montgomery mit Blick auf die Reform. Es sei aber erstaunlich gewesen, dass bei der Anhörung zum Gesetz im Bundestag vor einigen Tagen nahezu alle Partner der Selbstverwaltung „unisono große Teile des Gesetzes“ abgelehnt hätten.
Für die Zukunft wünschte sich KBV-Chef Gassen, dass die neue KBV-Vertreterversammlung das Konzept „KBV 2020“, in der es um die gemeinsame medizinische Versorgung von morgen gehe, weiter voranbringen und ausgestalten wird. In ihrem Konzeptpapier „KBV 2020“ befasst sich die KBV unter anderem mit den Themen Patientensteuerung und Notfallversorgung.
Vor den geladenen Gästen wiederholte Gassen die Forderung, überzählige Kliniken vom Netz zu nehmen, statt diese künstlich am Leben zu erhalten. Er sei „kein Gegner“ der Krankenhäuser, die eine zentrale Stütze des Gesundheitssystems seien und bleiben müssten. „Aber ich glaube, wir müssen Wege finden, um die notwendigen und wichtigen Kliniken zu stärken und die entbehrlichen umzuwandeln“, sagte er.
Der Neujahrsempfang der deutschen Ärzteschaft wird gemeinsam von KBV, BÄK, Ärztekammer Berlin und Kassenärztlicher Vereinigung Berlin ausgerichtet. Eingeladen sind zahlreiche Akteure aus dem Gesundheitswesen. Der Neujahrsempfang fand auch in diesem Jahr im Kaufhaus des Westens (KDW) in Berlin statt.
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