Palliativmedizin: Sterbewünsche im Alter richtig deuten

Berlin – Was meinen schwerkranke Menschen, wenn sie sagen, dass sie sterben wollen? Mit dieser Frage haben sich Schweizer Ärzte und Ethiker in einer zehnjährigen Studie auseinandergesetzt. Noch unpublizierte Ergebnisse stellte Heike Gudat, leitende Ärztin am Hospiz im Park in Arlesheim auf der Akademieveranstaltung des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands diese Woche in Berlin vor. Das Fazit: Der Sterbewunsch hat viele Dimensionen und wurde von fast allen befragten Teilnehmern ambivalent wiedergegeben. Die Studie soll in Kürze mit dem Wissenschaftspreis der HEMMI-Stiftung ausgezeichnet werden, kündigte Gudat an.
Sterbewünsche bei schwer kranken Menschen haben meist einen komplexen Hintergrund. Die Aussage „Ich möchte nicht mehr Leben“ kann verschiedene Bedeutungen haben. „Dabei sollten Ärzte im Gespräch mit ihren Patienten den feinen aber deutlichen Unterschied zwischen ‚wünschen’ und ‚wollen’ erkennen“, erklärte Gudat.
Manche Patienten äußern einen Sterbewunsch, weil sie möchten, dass das Lebensende kommt. „Ihr Leben verkürzen wollen sie deshalb aber nicht zwangsläufig“, sagte die Paliativmedizinerin. Andere möchten, dass das Lebensende schneller kommt, sie möchten dafür aber nichts tun. Wieder andere haben tatsächlich eine Absicht, ihr Leben zu verkürzen. Das seien allerdings die wenigsten, berichtete Gudat aus ihrer eigenen Erfahrung. „Die Praxis zeigt, dass die Behandelnden zu wenig auf die Bedürfnisse von Patienten eingehen, die das Sterben wünschen, aber es nicht beschleunigen wollen“, sagte Gudat. Auch sie leiden oft erheblich und müssten begleitet werden.
Die schweizerische Studie zeigte auch: Kein Patient hatte nur einen Wunsch. Fast alle Teilnehmer gaben nicht nur an, „leben zu wollen“. Sie hatten gleichzeitig den Wunsch, zu sterben. Davon hatten wiederum einige einen dritten Wunsch, den konkreten Wunsch zu sterben, allerdings erst in der Zukunft. Ein Teil jener, die angeben hatten, „leben zu wollen“, hatten dennoch das „Sterben akzeptiert“.
„Eine entscheidende Motivation, sich das Sterben zu wünschen, stellt für Betroffene ihre Autonomie beziehungsweise der Verlust ihres Handlungsraums dar“, sagte Gudat. Aber auch das Argument, „eine Last für Angehörige und seine Umgebung zu sein“, das dieser Studie zufolge mindestens ein Drittel der Patienten mit Sterbewunsch äußern, könne eine lebensbejahende Komponente haben. Diese Aussage löse bei Patienten und Angehörigen nicht nur negative Assoziationen aus. „Es bedeutet auch, dass der Patient ein Objekt der Liebe ist, um das man sich kümmern muss“, führte Gudat aus. Menschen, die das Gefühl haben, anderen zur Last zu fallen, müssen nicht unbedingt jene sein, die ein großes körperliches Leid erfahren, oder die besonders pflegebedürftig sind, so das Ergebnis der schweizerischen Studie. „Es scheint viel mehr mit Haltungen, moralischen Vorstellungen und den Signalen der Umgebung zu tun zu haben“, sagte Gudat.
In dieser Studie haben die Ärzte um Gudat und Christoph Rehmann-Sutter vom Lübecker Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung 30 Menschen mit Tumorerkrankungen und 32 mit neurologischen Krankheiten sowie polymorbide Patienten dazu befragt. Darüber hinaus wurden Interviews mit Behandlern und Angehörigen ausgewertet. Die Studie sei international somit eine der umfangreichsten zu dieser Thematik, sagte Gudat. Die Studie wird aktuell abgeschlossen, die Hauptergebnisse zu den Nicht-Tumorpatienten werden in Kürze publiziert.
Vor allem sollte nach Meinung von Gudat die Hausarztmedizin gefördert werden. Hausärzte müssten einen sicheren Umgang mit der Betreuung von schwerkranken Menschen mit Sterbewunsch erlangen und Gespräche zur Suizid-Thematik häufiger selbst initiieren. Diesen Hinweis gaben auch schon die Initiatoren des nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), über das im Deutschen Ärzteblatt berichtet wurde.
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