Politik

Pläne für ambulante Versorgung: Kritik von Krankenkassen, Lob von Hausärzten

  • Dienstag, 26. März 2024
/RFBSIP, stockadobecom
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Berlin – Parallel zur Krankenhausreform will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch die ambulante Versorgung reformieren. Die Krankenkassen sind aufgebracht, weil der Minister nicht die Steuerzahler, sondern die Beitragszahler belasten will.

Gestern Abend waren Lauterbachs Pläne für ein Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz bekannt geworden. Sie sehen unter anderem die flächendeckende Errichtung von Gesundheitskiosken und einen Förderfonds für neue Medizinstudienplätze aus Mitteln des Gesundheitsfonds vor.

Geregelt werden soll laut Entwurf außerdem eine Vorhaltepauschale, welche greifen soll, wenn Hausärzte bestimmte Kriterien erfüllen – beispielsweise mit Haus- und Pflegeheimbesuchen oder bei den Praxis­öffnungs­zeiten. Zuvor hatte Lauterbach im Rahmen der geplanten Krankenhausreform auch einen 50 Milliar­den Euro umfassenden Transformationsfonds ins Spiel gebracht, der zur Hälfte von den Krankenkassen bezahlt werden soll.

Die Reformvorhaben sollten erneut von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden, obwohl sie Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge beträfen, erklärte der Verband der Ersatz­kassen (vdek).

„Es ist ein weiteres Mal ein Belastungsgesetz für die Versicherten und Arbeitgeber. Bei der Daseinsvorsorge werden immer weiter die Lasten in Richtung GKV verschoben. Und dies passiert immer mit dem Griff in den Gesundheitsfonds, das sehen wir bei der geplanten Förderung der Medizinstudienplätze sowie bei den Ge­sundheitskiosken“, sagte ie vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner dem Deutschen Ärzteblatt.

Sie betonte, die Beitragsgelder mutierten zum Nebenhaushalt des Staates. Dabei seien die meisten Menschen in den Krankenkassen pflichtversichert. „Seitdem es einmal den Tabubruch seitens der Politik gegeben hat, in den Fonds zu greifen, wird das nun immer wiederholt. Wir vermissen eine Gesundheitspolitik für Bürgerinnen und Bürger, die nicht immer wieder zu neuen Lasten der Beitragszahlenden geht“, so Elsner.

Hinzu kämen Maßnahmen, die für die Versicherten keine spürbare Versorgungsverbesserung brächten, aber teuer seien. Als Beispiele nannte sie den Wegfall von Obergrenzen bei der Vergütung der Hausärzte, eine Bo­nuszahlung für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung, eine Förderung von Gesundheitsregio­nen und eine Schwächung der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Heftige Kritik kam auch vom AOK-Bundesverband. Das Gesetz sei ein „bunter Gemischtwarenladen“, der keine überzeugenden Lösungen für eine bessere ambulante Versorgung liefere, erklärte die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann. „Anstatt also die ambulante Versorgung der Menschen strukturell zu verbessern, werden die Einkommen der Ärzteschaft optimiert.“

Auch Reimann warf Lauterbach vor, staatliche Aufgaben und Finanzverantwortlichkeiten systematisch weiter in Richtung der Krankenkassen zu verschieben. So sollten die Beitragszahlenden künftig auch noch für die Finanzierung von Medizinstudienplätzen geradestehen.

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin des GKV-Spitzenverbandes, betonte, der Gesetzesentwurf sei „vor allem ein Ausgabensteigerungsgesetz zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung“. „Die Finanzierung der Schulen und Universitäten ist eine Kernaufgabe des Staates, die bei neuen Medizinstudienplätzen aber künftig zu zwei Dritteln von den Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden soll“, monierte sie.

Auch die Beitragszahlenden der Krankenkassen zahlten Steuern, damit der Staat seinen Aufgaben nach­kom­men könne. „Wenn sie jetzt auch noch Studienplätze finanzieren müssten, müssten sie doppelt zahlen. Was kommt als nächstes auf die Beitragszahlenden zu?“, fragte sie.

Die geplante Ausgestaltung der Gesundheitskioske bezeichnete sie als im „Kern kommunale Sozialarbeit“. Das müsse primär von den Kommunen und nicht, wie vorgesehen, vor allem aus den Krankenkassenbeiträgen der Versicherten bezahlt werden. Kritisch sieht sie die Entbudgetierung der Hausärzte.

Die Pläne würden sogar dafür sorgen, dass die ländlichen Räume für die Ärzte an Attraktivität weiter verlieren würden, da die zusätzlichen Finanzmittel in erster Linie in eher überversorgte Ballungsräume fließen sollten, meinte sie.

Ein Lichtblick für die Versicher­ten seien die Ansätze zur konkreten Verbesserung der hausärztlichen Versor­gung. Dazu gehörten Anreize und Vorgaben etwa hinsichtlich der besseren Erreichbarkeit der Praxen, der bedarfsgerechten Versorgung von pflegebedürftigen Patienten oder auch die konsequente Nutzung digitaler Anwendungen, insbesondere der elektronischen Patientenakte.

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V., beklagte, dass der Entwurf sich über die Finanzwirkungen für die bereits finanziell angeschlagene gesetzliche Krankenversicherung ausschweige. Diese werde aber erneut belastet.

„Zum einen wird für die Förderung von Medizinstudienplätzen (wieder einmal) der Gesundheitsfonds heran­gezogen. Zum anderen ist – überraschend – der Gesundheitsminister bezüglich der Streichung der Homöo­pathie als Kassenleistung nun offenbar doch eingeknickt“, so Hohnl.

Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV), wies bei den Gesundheits­kiosken auf „teure Doppelstrukturen“ hin, die geschaffen würden. Damit würden die Beitragszahler der Kran­kenversicherung zusätzlich und womöglich verfassungswidrig belastet.

„Denn die Kioske erbringen weitgehend Aufgaben der örtlichen Daseinsvorsorge durch die Kommunen, die Leistungen der Kioske sind versicherungsfremd. Dieser Entwurf stärkt nicht die Gesundheitsversorgung, sondern verkompliziert sie“, sagte Reuther.

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV) sprach heute von einer „guten Nachricht“. Die Entbudgetie­rung der hausärztlichen Leistungen, die Bonifizierung der an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen­den Versi­cherten wie auch die Vorhaltepauschalen für Versorgerpraxen könnten für die Hausarztpraxen, die seit Jahren an der Belastungsgrenze und darüber hinaus arbeiten, einen spürbaren Unterschied bringen, sagten die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier.

Gleiches gelte für die Anhebung der Bagatellgrenze für Wirtschaftlichkeitsprüfungen auf 300 Euro. Als Ver­band kämpfe man seit langem für diese Reformen. „Dieser Entwurf zeigt, dass der Bundesgesundheitsminister die sich verschärfende Krise der Hausarztpraxen wie auch ihre gravierenden Auswirkungen für die Gesund­heits­versorgung der Bevölkerung erkannt hat und entsprechend handeln will“, betonten sie.

Buhlinger-Göpfarth und Beier wiesen aber auch darauf hin, dass man sich „noch am Anfang dieses Prozesses“ befinde. „Es wird an einigen Stellen noch Konkretisierungen und Anpassungen brauchen, denn der Teufel steckt bekanntermaßen im Detail. Von einem Entwurf allein kann sich zudem niemand etwas kaufen.“ Es werde nun darauf ankommen, dass das parlamentarische Verfahren sehr zügig eingeleitet wird.

„Der Entwurf, der derzeit kursiert, ist kein offizielles Papier. Von daher müssen wir abwarten, ob es dabei bleibt, oder ob es noch Änderungen geben wird“, sagten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereini­gung (KBV), Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner in einer ersten Stellungnahme.

Mit Stand jetzt gibt es nach Ansicht des KBV-Vorstands „einige positive Punkte“ wie etwa die eingezogene Bagatellgrenze von 300 Euro für Wirtschaftlichkeitsprüfungen sowie – vor allem – dass die hausärztliche Entbudgetierung endlich aufgegriffen worden sei.

Für die KBV stellen sich aber auch Fragen. So solle zwar die Entbudgetierung der Hausärzte kommen, aber gleichzeitig auch eine Jahrespauschale ohne Einschreibung – verbunden mit strikten Bedingungen und Voraussetzungen.

„Eine Einschreibung aber wäre aus unserer Sicht zwingend notwendig. Ansonsten wäre ein fast nicht zu bewältigender Umsetzungsaufwand die Folge- und zwar für alle Beteiligten, für KVen genauso wie für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen“, so die KBV-Vorstände.

Auch der Entwurf für eine Strukturpauschale enthalte erhebliche zusätzliche Anforderungen an die Praxen und werde in der vorliegenden Form für erhebliche Umverteilungen von Honorar sowie teilweise für Honorar­verluste sorgen. Insbesondere Einzelpraxen könnten das Nachsehen haben. Zudem scheine die bereits erfolg­te Entbudgetierung bei den Kinder- und Jugendärzten im vorliegenden Entwurf wieder erschwert worden zu sein.

Statt die ambulante Versorgung in die stationäre zu verlagern, sollten die Niedergelassenen gestärkt werden, mahnt die KV Thüringen. „Die Politik sollte stattdessen gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, um uns Instrumente in die Hand zu geben, dem Ärzte-und Fachkräftemangel zu begegnen“, sagte Annette Rommel, erste Vorsitzende der KV Thüringen (KVT).

„In schätzungsweise 80 Prozent aller Mittelbereiche Deutschlands könnten Kliniken bald Institutsambulanzen für die hausärztliche Versorgung eröffnen“, beklagte Thomas Schröter, zweite Vorsitzende der KVT. Zu befürch­ten sei, dass faktisch jedes Krankenhaus die Bedingungen erfüllen kann, um vom Land als sektorübergreifende Versorgungseinrichtung ausgewiesen zu werden.

„Mit dem Entwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes bleiben die dringenden Fragen unbeantwortet“, sagte der Bundesvorsitzende des Virchowbunds, Dirk Heinrich. Die zentrale Herausforderung sei, wie die Niederge­las­senen in der Versorgung blieben und wie Praxen wirtschaftlich am Laufen gehalten werden könnten. Nur so könne „den bestehenden und kommenden Herausforderungen der Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung entgegnet werden“.

Er bezeichnete die Entbudgetierung der Hausärzte als einen ersten und überfälligen Schritt. Dieser reiche aber allein noch nicht aus, weil schlichtweg die Hausärzte fehlen würden. „Versorgung wird heute schon von Haus- und Fachärzten gemeinsam gestemmt. Deshalb müssen zeitgleich mit den Hausärzten zumindest die grundversorgenden Fachärzte in einem ersten Schritt ebenfalls entbudgetiert werden“, erklärte Heinrich.

Dafür lägen Vorschläge auf dem Tisch: Eine vollständige Entbudgetierung bei Überweisung, eine zumindest vorläufige Deckelung der Budgetierung bei mindestens 90 Prozent der Leistungsvergütung und die vollstän­dige Entbudgetierung der Fachärzte bei Versorgung in sozialen Brennpunkten. „Dies muss in den vorgelegten Gesetzentwurf eingearbeitet werden. Ansonsten werden Haus- und Fachärzte ihre Protestaktionen wieder aufnehmen und in den anstehenden Wahlkämpfen ausweiten“, meint Heinrich weiter.

„Die Krankenkassen an der Finanzierung des Medizinstudiums zu beteiligen, ist ein neuer interessanter Ansatz, wenn auch noch mit vielen Haken und Ösen,“ sagte Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultäten­tags. Sorge macht ihm, dass das Bundesministerium für Gesundheit nur noch über die Schaffung von zusätzli­chen Studienplätzen nachdenkt, nicht aber an die Reform des Medizinstudiums mit einer neuen Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO).

Der Arbeitsentwurf für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz sieht zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendliche vor, eine eigene Bedarfsplanungsgruppe für Psychotherapeuten zu bilden, die überwiegend oder ausschließlich Heranwachsende behandeln.

Nach Ansicht der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist das „ein wichtiger Schritt“, weil damit lange Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie für Kinder und Jugendliche abgebaut und die Versorgungskapa­zi­täten regional besser geplant werden könnten.

„Das allein reicht aber nicht aus. Um die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz auch für Erwachsene ab­zubauen, müsse die psychotherapeutische Versorgung insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Re­gionen verbessert werden“, forderte BPtK-Präsidentin Andrea Benecke. Dafür müssten die Verhältniszahlen um mindestens 20 Prozent abgesenkt werden.

Lob von Ampelkollegen

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte heute, mit dem Entwurf stehe endlich auch eine Verbesserung der Praxisversorgung und eine Stärkung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte an. „Viele Arztpraxen arbeiten am Limit.“

Darunter leide die immer älter werdende Bevölkerung. „Das zeigt sich bei der Suche nach Facharztterminen in Städten inzwischen ebenso wie bereits bei der hausärztlichen Versorgung auf dem Land.“ Die überfälligen Strukturreformen dürften im Kabinett nun auf keinen Fall weiter verzögert oder gar blockiert werden.

„Mit dem Gesetz entlasten wir die Praxen von Bürokratie, lockern Regressregelungen, heben für Hausärztin­nen und Hausärzte die Budgetdeckel auf und führen neue Vorhaltepauschalen ein“, sagte Armin Grau, Obmann der Grünen im Gesundheitsausschuss und Berichterstatter für ambulante und stationäre Versorgung.

Zeitgleich mit der Krankenhausreform kümmere man sich damit auch um eine Verbesserung der ambulanten Versorgung und um die Nöte der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. „Entscheidend ist, dass Versorgung für alle Menschen und in hoher Qualität zur Verfügung steht. Jetzt ist es wichtig, dass die Abstimmung im Kabinett rasch erfolgt und der Bundestag über das Gesetz beraten kann.“

„Es ist einzig, dem Engagement vieler niedergelassener Ärzte zu verdanken, dass das Praxissystem nicht be­reits viel früher zusammengebrochen ist. Es reicht aber nicht, ihnen nun endlich eine kostendeckende Finan­zierung zu versprechen“, sagte Ates Gürpinar, Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke. Er mahnte, das Versprechen muss auch eingelöst werden. Möglich sei das mit einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung.

kna/dpa/aha/may/bee

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