Urteil zu Poolärzten sorgt weiter für Probleme in der Versorgung

Berlin – Das gestrige Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zur Sozialversicherungspflicht eines Zahnarztes im Notdienst sorgt weiter für Unruhe bei vielen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Nachdem die KV Baden-Württemberg bereits gestern Einschränkungen des Notdienstes bekanntgab, ziehen nun auch die KV Niedersachsen (KVN) und die KV Saarland Konsequenzen.
Zwar weise der Sachverhalt im gestern entschiedenen Fall erhebliche Unterschiede zum niedersächsischen Modell „Nichtvertragsärzten mit Genehmigung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst“ auf, erklärt die KVN auf Anfrage. Allerdings könne nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Deutsche Rentenversicherung auch bei diesen Ärzten zukünftig keine selbstständige Tätigkeit mehr sehe.
Da deshalb „zumindest abstrakt die Gefahr besteht, dass ein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt ist“, sehe die KVN sich gezwungen, kurzfristige Maßnahmen zu ergreifen. Sie beantrage bei der Deutschen Rentenversicherung Statusfeststellungsverfahren für die betroffenen 160 Ärzte, durch die rechtssicher geklärt werden soll, dass diese selbstständig sind.
Bis das geklärt sei, werde bei allen Ärzten, die in der Vergangenheit eine Genehmigung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst als Nichtvertragsarzt hatten, die Genehmigung hinsichtlich der eigenständigen Übernahme von Diensten und Einteilung zu Diensten mit sofortiger Vollziehung ausgesetzt, so die KVN.
Auch bereits übernommene Dienste dürften deshalb von diesen Poolärzten nicht durchgeführt werden. Sie werden demnach aus dem Dienstplan genommen und die entsprechenden Dienste neu an Vertragsärzte vergeben. Das gelte bereits für die heutigen Dienste.
Das sei nicht ohne Konsequenzen möglich, erklärt die KV. Da die Poolärzte für die Versorgungsstruktur in den Bereitschaftsdienstpraxen und für die dringenden Hausbesuche im Rahmen der Fahrdienste eine wesentliche Rolle spielten, könne es zu Einschränkungen im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst kommen.
Die KV Saarland reagiert in ähnlicher Weise. Bisher hätten dort rund 150 Poolärzte ein Drittel der Dienste in den 13 Bereitschaftsdienstpraxen und im Fahrdienst übernommen. „Durch die Sozialversicherungspflicht kommen auf die KVS finanziell und logistisch nicht zu stemmende Mehrbelastungen zu“, erklärte die KV heute.
Es sei daher unausweichlich, die Poolärzte aus der Versorgung zu nehmen und die Bereitschaftsdienste den originär dienstverpflichteten niedergelassenen Ärzten und zugelassenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zuzuweisen. Das wiederum sei nur durch eine erhebliche Reduzierung der Bereitschaftsdienstpraxen im Saarland realisierbar.
KVen prüfen das Urteil
In den meisten weiteren KVen – zwölf von insgesamt 17 haben bis Redaktionsschluss auf eine entsprechende Anfrage des Deutschen Ärzteblatts geantwortet – wurden bisher noch keine derartigen Maßnahmen ergriffen, da die die Konsequenzen für die dortigen Modelle noch nicht absehbar seien.
„Zur endgültigen Einschätzung nebst Folgenabschätzung ist es noch zu früh“, erklärte etwa der stellvertretende Vorsitzende der KV Schleswig-Holstein, Ralph Ennenbach. „Wir sind in einer Bewertung des Urteilstenors und werden notwendige Schlüsse nach bestehender Klarheit ziehen. Es würde die Durchführung des strukturierten Bereitschaftsdienstes jedenfalls deutlich schwieriger gestalten, wenn der Einsatz von Poolärzten infolge einer mutmaßlichen Sozialversicherungspflicht ausscheiden würde müsste.“
Die KV Bayerns erklärte darüber hinaus, auch unabhängig von dieser Prüfung unverzüglich auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zugehen zu wollen.
Gleiches betont die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Eine rechtliche Prüfung des Urteils sei erst anhand der schriftlichen Entscheidungsgründe möglich, bis zu deren Veröffentlichung es jedoch noch einige Wochen dauern könne. Deshalb werde man unverzüglich auf das BMAS zugehen und eine gesetzliche Regelung einfordern, die eine Befreiung von der Sozialversicherungspflicht zum Ziel hat.
Besorgt zeigen sich auch die Verbände. „Das gestrige BSG-Urteil droht vielerorts nicht nur den Bereitschaftsdienst, sondern die ambulante Versorgung in Gänze ins Wanken zu bringen“, erklärte die Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth.
Die Hausärzte seien in vielen KV-Regionen zwingend darauf angewiesen, dass auch Poolärzte Bereitschaftsdienste übernähmen. Die Alternative dazu sei, dass die Niedergelassenen in immer mehr Notdienstschichten eingeteilt werden.
„Das würde bedeuten, dass die Kolleginnen und Kollegen, die insbesondere im hausärztlichen Bereich landesweit bereits jetzt am absoluten Limit arbeiten, auch noch zusätzliche Nacht- und Wochenendschichten leisten müssten – und das neben den vielen Sonderschichten, die sie gerade während der Infektsaison ohnehin machen“, erklärte Buhlinger-Göpfarth. „Das wäre schlichtweg nicht mehr zu stemmen.“
Neben einer politischen Lösung brauche es nun aber auch dringend strukturelle Reformkonzepte für den Notdienst, die den Ärztemangel adressieren. „Wir leisten uns im Notdienst ohnehin schon Strukturen, die auf Selbstausbeutung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte basieren und bei den immer knapper werdenden ärztlichen Ressourcen dringend auf den Prüfstand gehören.“
Bereits jetzt nicht mehr zu stemmen sei die Situation in Baden-Württemberg, wo die KV gestern die Schließung von Notdienstzentren und Einschränkung von Öffnungszeiten verkündete, betonte Brigitte Szaszi, Vorsitzende der Landesgruppe Baden-Württemberg im Virchowbund.
„Der Entscheid des Bundessozialgerichts hat mit sofortiger Wirkung eine bewährte Versorgungsstruktur unserer Notfalldienstversorgung faktisch außer Kraft gesetzt. Heute ist ein schwarzer Tag für die ärztliche Versorgung unserer Patientinnen und Patienten“, erklärte sie heute. „Das Urteil – und die explizite Weigerung der Politik eine Sonderregelung zu treffen – ist ein erneuter Schlag gegen die Ärzteschaft.“
Sie befürchte ernsthaft, dass der Notdienst in Baden-Württemberg mit den Ärzten nicht mehr aufrechterhalten werden kann. „Die Stimmung unter den Kollegen war vorher schon schlecht und sinkt nun noch tiefer“, betonte Szaszi. „Kollegen, die bereits mit dem Gedanken gespielt haben in Rente zu gehen, werden nun tatsächlich ihre Praxen aufgeben. Die Abwärtsspirale dreht sich.“
Das Bundessozialgericht hatte gestern entschieden, dass nicht niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte, die in Baden-Württemberg an der vertragszahnärztlichen Notdienstversorgung teilnehmen, nicht automatisch selbstständig sind (Az.: B 12 R 9/21 R) und damit in einem Fall geurteilt, dass ein klagender Zahnarzt während seiner Notdiensttätigkeit als abhängig Beschäftigter der Sozialversicherungspflicht unterlag.
Damit hatte der 12. Senat des BSG gestern zwar einen jahrelangen Rechtsstreit beendet, nach Aussage des Vorsitzenden Richters Andreas Heinz jedoch ohne die weitreichenden Konsequenzen, die vonseiten der KVen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) befürchtet würden.
Mit Blick auf vorhergegangene Medienberichterstattung betonte Heinz, es handele sich um eine Entscheidung in einem spezifischen Einzelfall, ohne dass daraus zwangsläufig landes- oder bundesweite Konsequenzen entstehen müssten. Gegenstand der Abgrenzung sei niemals ein abstrakter Beruf oder ein Tätigkeitsfeld, sondern nur jener konkrete Fall.
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