Studie warnt vor Apothekensterben durch Arzneimittel-Versandhandel

Berlin – In Deutschland gibt es 1.711 Solitär-Apotheken. Das sind solche, in deren Umkreis von rund fünf Kilometern keine weitere Apotheke existiert. Ein düsteres Bild vom Überleben dieser Apotheken zeichnet jetzt ein Gutachten im Auftrag des Deutschen Apotheker-Verlags und der Noweda Apothekergenossenschaft. Danach bedroht der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln diese Anbieter massiv. Nach Modellrechnungen im Gutachten, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, könnten sogar alle diese Apotheken schließen müssen.
„Diese Apotheken sind für die flächendeckende Versorgung besonders wichtig, weil die Orte, in denen sie sich befinden, mangels Existenz einer anderen Apotheke vor Ort mit der Schließung der Apotheke unmittelbar zu ‚abgelegenen Orten‘ werden“, heißt es in dem Gutachten. Die existenzgefährdeten Solitär-Apotheken seien aber „unmittelbar für die flächendeckende Versorgung relevant und qualitativ nicht gleichwertig durch Automatisierung und Digitalisierung ersetzbar“, so die Gutachter.
Drei Modellrechnungen vorgenommen
Sie entwerfen anhand verschiedener Modellrechnungen und ökonomischer Analysen von Apotheken in verschiedener Regionen und Lagen Zukunftsszenarien. Im progressiven Wettbewerbsszenario, bei dem der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einen Marktanteil von 25 Prozent erreicht, sehen sie bis zu 1.711 Solitär-Apotheken vor dem Aus – also alle. „Ganz überwiegend betroffen sein werden von dieser Entwicklung kleinere Ortschaften mit weniger als 5.000 Einwohnern“, so die Autoren.
Bei weiteren Wettbewerbsszenarien, in denen der Versandhandel einen geringeren Marktanteil erreicht, würden laut Gutachten 1.212 Solitär-Apotheken beziehungsweise 784 Solitär-Apotheken aufgrund fehlender Rentabilität schließen müssen. „Ein minimaler finanzieller Vorteil für die Verbraucher würde daher zu einem maximalen Schaden für die flächendeckende Versorgung führen, der wiederum mittelbar auf einen bedeutenden Teil der insbesondere ländlichen Bevölkerung zurückfallen würde“, warnen die Autoren.
Grüne sehen Ablenkungsmanöver
Kordula Schulz-Asche, Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Prävention und Gesundheitswirtschaft, kommt zu anderen Schlussfolgerungen. „Ein massives Verteilungsproblem der Einkommen zwischen guten und schlechten Lagen sowie großen und kleinen Apotheken ist der Grund für schließende Apotheken“, so die Politikerin. Die Diskussion um den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten sei „nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver der Großverdiener“.
Das starre Preissystem sorge im Augenblick dafür, dass Apotheken, deren Umsatz größtenteils von durch die Versichertengemeinschaft bezahlten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln abhänge, umso größer sei, umso mehr Arzneimittelpackungen über den Tresen wanderten. Während die kleinsten Apotheken auf diese Weise nur am Leben erhalten würden, drängten die größten Apotheken in beachtliche Einkommenssphären vor.
Wenn die flächendeckende Versorgung zusammenzubrechen drohe, könne die Antwort nicht sein, den Versand abzuschaffen, und auch nicht, per Gießkannensystem das Honorar für alle immer weiter anzuheben. „Nötig ist ein Sicherstellungszuschlag, damit auch kleine für die Versorgung notwendige Apotheken in ländlichen Räumen bestehen bleiben können. Dieser Zuschlag sollte durch Umverteilung von reichen zu ärmeren Apotheken finanziert werden. Die Zahlen zeigen, dass dafür genug Geld da ist“, so Schulz-Asche.
„Mit der Forderung nach einer komplett regulierten Daseinsvorsorge schwimmen viele Apotheken und deren Standesorganisationen gegen den Strom“, erklärte der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA). Bisher erhielten die Apotheker feste Margen pro Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, kritisiert der Verband. „Feste Margen für die verschreibungspflichtigen Medikamente sollten nach oben und unten begrenzt werden, sodass der Apotheker einen Spielraum bekommt und selbst entscheiden kann, was am besten zu seinem Standort passt“, sagte der BVDVA-Geschäftsführer Udo Sonnenberg.
Strukturfonds vorgeschlagen
Ein weiterer Vorschlag des Verbandes weist in die Richtung Schulz-Asches. „Allen Beteiligten ist klar: Ein absolut freier Wettbewerb im Gesundheitswesen und bei der Arzneimittelversorgung ist nicht im Interesse der Patienten und darum auch kein Allheilmittel“, hieß es aus dem Verband. Der BVDVA schlägt daher einen Strukturfonds vor, der Geld von den umsatzstarken zu den umsatzschwachen Apotheken leitet.
Ein Hintergrund der Diskussion ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016. Die Richter hatten entschieden, dass sich ausländische Versandapotheken nicht an die in Deutschland geltenden einheitlichen Abgabepreise für verschreibungspflichtige Medikamente halten müssen und ihren Kunden Rabatte einräumen dürfen. Apotheken in Deutschland werden dadurch zurzeit gegenüber ihren europäischen Mitbewerbern benachteiligt, weil für sie die Preisbindung nach wie vor gilt.
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