EuGH kippt Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente

Luxemburg/Berlin – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gekippt. Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise benachteilige Versandapotheken im EU-Ausland und beschränke somit den freien Warenverkehr in der EU, befand der EuGH in einem heute in Luxemburg verkündeten Urteil. Die deutschen Apotheker zeigten sich schockiert von der Entscheidung. (Az. C-148/159).
Im Ausgangsfall hatte die Deutsche Parkinson Vereinigung mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem für ihre Mitglieder ausgehandelt. Demnach sollten Kranke einen Rezeptbonus von 2,50 Euro erhalten sowie einen Extranachlass von 0,5 Prozent auf den Arzneipreis. Dagegen klagte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.
Der EuGH befand nun, die deutsche Festlegung einheitlicher Abgabepreise benachteilige Apotheken im EU-Ausland. Ihnen könnte damit der Zugang zum deutschen Markt im Vergleich zu inländischen Anbietern erschwert werden. Solch ein Handelshemmnis sei weder im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit noch auf eine flächenmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gerechtfertigt. Laut Urteil ist der Versandhandel für ausländische Apotheken „ein wichtiges, eventuell sogar das einzige Mittel“, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten.
Nach Auffassung des Gerichtshofs könnte mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken auch zu einer „gleichmäßigen Versorgung mit Arzneimitteln“ in der Fläche führen: Apotheker bekämen so Anreize zur Niederlassung in Gegenden, in denen wegen der geringeren Zahl an Konkurrenten höhere Preise verlangt werden könnten. Ein Preiswettbewerb könne zugleich auch den Patienten Vorteile bringen, weil sie verschreibungspflichtige Arzneimittel zu günstigeren als den derzeit festgelegten Preisen erwerben könnten.
Deutschlands Apotheker regierten „entsetzt“ auf die Entscheidung. „Es kann nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren“, erklärte der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Friedemann Schmidt. Er forderte die Bundesregierung auf, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu verbieten.
Solch ein europarechtlich mögliches Verbot des Versandhandels forderte auch die unterlegene Wettbewerbszentrale. Das Urteil werde „massive Auswirkungen auf den Apothekermarkt haben“. Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil hiesiger Apotheken führten zu einer „Inländerdiskriminierung“, erklärte die Organisation.
Einigkeit bei den Bundestagsfraktionen
Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, bezeichnete das Urteil als „schweren Schlag“ für Patienten. Denn es bedeute eine Stärkung des Versandhandels und bedrohe „nicht zuletzt Apotheken auf dem Lande“. Wie zu befürchten gewesen sei, sei dem europäischen Gericht der freie Warenverkehr und Preiswettbewerb wichtiger als die Sicherstellung von Notfallversorgung und persönlicher Beratung in der Apotheke vor Ort. „Die Arzneimittelsicherheit und die flächendeckende wohnortnahe Versorgung können dabei auf der Strecke bleiben“, warnte sie.
Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft der Grünen Bundestagsfraktion, betonte, Apotheken und Versandapotheken bildeten wichtige Bestandteile der Gesundheitsversorgung und bedienten unterschiedliche Verbraucherinteressen. „Vor diesem Hintergrund war die Preisbindung gerechtfertigt – weil es bei Arzneimitteln um die Qualität in der Versorgung und nicht um Preiskampf gehen darf“, sagte sie. Sie fordert die Bundesregierung auf, „umgehend“ einen Plan B auf den Tisch zu legen, der auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln sicherstelle.
Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes, das Urteil löse „Handlungsbedarf für den Gesetzgeber“ aus. „Da wir aber auch erst einmal das schriftliche Urteil und die Begründung abwarten müssen, kann es keine Adhoc-Lösungsvorschläge geben“, sagte sie. Das Wichtigste für die SPD-Fraktion sei, dass die Versorgung der gesamten Bevölkerung, auch in ländlichen Regionen mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln, sichergestellt sei und ein fairer Wettbewerb zwischen den Apotheken herrsche. „Nach diesen Leitlinien werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner nach einer Lösung suchen“, erklärte sie.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Michalk, betonte, angesichts des Urteils erscheine „ein Versandhandelsverbot für deutsche Arzneimittel überlegenswert“. Für die inhabergeführten Apotheken dürften in Deutschland aufgrund des Urteils keine Wettbewerbsnachteile entstehen, sagte sie. „Apotheken sind ein wichtiger Bestandteil einer sicheren und verlässlichen medizinischen Versorgung vor Ort.“
BMG will Urteil prüfen
In einer ersten Reaktion teilte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit, die Preisbindung sei nach dem Urteil nicht mehr auf Versandapotheken im EU-Ausland anwendbar. Konsequenzen würden nun geprüft. „Die Gewährleistung einer flächendeckenden, wohnortnahen Arzneimittelversorgung durch öffentliche Apotheken“ habe für die Bundesregierung jedenfalls „weiterhin Priorität“, teilte das Ministerium mit.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe hatte bereits kürzlich zur Eröffnung des Deutschen Apothekertags angekündigt, man werde das Urteil „sorgfältig prüfen“ und „alle Schritte ergreifen“, die Qualität und Sicherheit und eine wohnortnahe Apothekenversorgung zu garantieren. Nach Angaben des BMG ist ein Ziel der Preisbindung zu verhindern, dass Medikamente zu teuer und Krankenkassenbeiträge unbezahlbar werden.
Heute unterstrich der Minister noch einmal seine Haltung. „Für die Menschen in unserem Land ist Qualität und Sicherheit in der Arzneimittelversorgung unabdingbar mit einem flächendeckenden Netz wohnortnaher Apotheken verbunden. Der Versandhandel kann die wohnortnahe Versorgung durch Präsenzapotheken nicht ersetzen“, sagte er. Es gelte, bewährte Strukturen weiter zu erhalten. Dazu gehöre die inhabergeführte Apotheke. Die unmittelbare persönliche Verantwortung der freiberuflich tätigen Apotheker sei „ein Garant dafür, dass sich die Menschen vor Ort kompetent sowie vertrauensvoll beraten und versorgt fühlen“.
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