Politik

EuGH kippt Preisbindung für verschreibungs­pflichtige Medikamente

  • Mittwoch, 19. Oktober 2016
Uploaded: 07.09.2016 18:01:04 by maybaum
/dpa

Luxemburg/Berlin – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gekippt. Die Festlegung einheitlicher Abgabe­preise benachteilige Versandapotheken im EU-Ausland und beschränke somit den freien Warenverkehr in der EU, befand der EuGH in einem heute in Luxemburg verkün­deten Ur­­­teil. Die deutschen Apotheker zeigten sich schockiert von der Entscheidung. (Az. C-148/159).

Im Ausgangsfall hatte die Deutsche Parkinson Vereinigung mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem für ihre Mitglieder ausgehandelt. Dem­nach sollten Kranke einen Rezeptbonus von 2,50 Euro erhalten sowie einen Extra­nach­lass von 0,5 Prozent auf den Arzneipreis. Dagegen klagte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.

Der EuGH befand nun, die deutsche Festlegung einheitlicher Abgabepreise benachtei­li­ge Apotheken im EU-Ausland. Ihnen könnte damit der Zugang zum deutschen Markt im Vergleich zu inländischen Anbietern erschwert werden. Solch ein Handelshemmnis sei weder im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit noch auf eine flächenmäßige Versor­gung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gerechtfertigt. Laut Urteil ist der Versandhandel für ausländische Apotheken „ein wichtiges, eventuell sogar das einzige Mittel“, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten.

Nach Auffassung des Gerichtshofs könnte mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken auch zu einer „gleichmäßigen Versorgung mit Arzneimitteln“ in der Fläche führen: Apo­the­ker bekämen so Anreize zur Niederlassung in Gegenden, in denen wegen der gerin­ge­ren Zahl an Konkurrenten höhere Preise verlangt werden könnten. Ein Preiswett­be­werb könne zugleich auch den Patienten Vorteile bringen, weil sie verschreibungspflich­tige Arzneimittel zu günstigeren als den derzeit festgelegten Preisen erwerben könnten.

Deutschlands Apotheker regierten „entsetzt“ auf die Entscheidung. „Es kann nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen trium­phieren“, erklärte der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Friedemann Schmidt. Er forderte die Bundesregierung auf, den Ver­sand­handel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu verbieten.

Solch ein europarechtlich mögliches Verbot des Versandhandels forderte auch die un­terlegene Wettbewerbszentrale. Das Urteil werde „massive Auswirkungen auf den Apo­thekermarkt haben“. Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil hiesiger Apotheken führten zu einer „Inländerdiskriminierung“, erklärte die Organisation.

Einigkeit bei den Bundestagsfraktionen
Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, bezeichnete das Urteil als „schweren Schlag“ für Patienten. Denn es bedeute eine Stärkung des Versand­handels und bedrohe „nicht zuletzt Apotheken auf dem Lande“. Wie zu befürch­ten gewe­sen sei, sei dem europäischen Gericht der freie Warenverkehr und Preiswett­bewerb wich­tiger als die Sicherstellung von Notfallversorgung und persönlicher Beratung in der Apotheke vor Ort. „Die Arzneimittelsicherheit und die flächendeckende wohnort­nahe Versorgung können dabei auf der Strecke bleiben“, warnte sie.

Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft der Grünen Bundestagsfraktion, betonte, Apotheken und Versandapotheken bildeten wichtige Be­stand­teile der Gesundheitsversorgung und bedienten unterschiedliche Verbraucher­in­teressen. „Vor diesem Hintergrund war die Preisbindung gerechtfertigt – weil es bei Arzneimitteln um die Qualität in der Versorgung und nicht um Preiskampf gehen darf“, sagte sie. Sie fordert die Bundesregierung auf, „umgehend“ einen Plan B auf den Tisch zu legen, der auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln sicherstelle.

Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes, das Urteil löse „Handlungsbedarf für den Gesetzgeber“ aus. „Da wir aber auch erst einmal das schriftliche Urteil und die Begrün­dung abwarten müssen, kann es keine Adhoc-Lösungsvorschläge geben“, sagte sie. Das Wichtigste für die SPD-Fraktion sei, dass die Versorgung der gesamten Bevölke­rung, auch in ländlichen Regionen mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln, sichergestellt sei und ein fairer Wettbewerb zwischen den Apotheken herrsche. „Nach diesen Leitlinien werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner nach einer Lösung suchen“, erklärte sie.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Michalk, betonte, angesichts des Urteils erscheine „ein Versandhandelsverbot für deutsche Arz­neimittel überlegenswert“. Für die inhabergeführten Apotheken dürften in Deutsch­land aufgrund des Urteils keine Wettbewerbsnachteile entstehen, sagte sie. „Apotheken sind ein wichtiger Bestandteil einer sicheren und verlässlichen medizinischen Versorgung vor Ort.“

BMG will Urteil prüfen
In einer ersten Reaktion teilte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit, die Preis­bin­dung sei nach dem Urteil nicht mehr auf Versandapotheken im EU-Ausland anwend­bar. Konsequenzen würden nun geprüft. „Die Gewährleistung einer flächendeckenden, wohnort­nahen Arzneimittelversorgung durch öffentliche Apotheken“ habe für die Bun­des­re­gie­rung jedenfalls „weiterhin Priorität“, teilte das Ministerium mit.

Gesundheits­mi­nister Hermann Gröhe hatte bereits kürzlich zur Eröffnung des Deut­schen Apothe­kertags angekündigt, man werde das Urteil „sorgfältig prüfen“ und „alle Schritte ergrei­fen“, die Qualität und Sicherheit und eine wohnortnahe Apotheken­versorgung zu garantieren. Nach Angaben des BMG ist ein Ziel der Preisbindung zu verhindern, dass Medikamente zu teuer und Krankenkassenbeiträge unbezahlbar werden.

Heute unterstrich der Minister noch einmal seine Haltung. „Für die Menschen in unserem Land ist Qualität und Sicherheit in der Arzneimittelversorgung unabdingbar mit einem flächendeckenden Netz wohnortnaher Apotheken verbunden. Der Versandhandel kann die wohnortnahe Versorgung durch Präsenzapotheken nicht ersetzen“, sagte er. Es gel­te, bewährte Strukturen weiter zu erhalten. Dazu gehöre die inhabergeführte Apothe­ke. Die unmittelbare persönliche Verantwortung der freiberuflich tätigen Apotheker sei „ein Ga­rant dafür, dass sich die Menschen vor Ort kompetent sowie vertrauensvoll beraten und versorgt fühlen“.

afp/dpa/may

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung